Brief an Günter

Lieber Günter,
wir haben einige Jahre während und nach dem Studium in der WG am Weihenstephaner Steig in Freising zusammen gelebt. Ute, meine damalige Freundin, die leider auch viel zu früh gestorben ist, kam nach ihrem Auslandsjahr in Brasilien in Kontakt mit dir uns zog mit ein. Ich war anfangs viel als Gast bei euch, später nach Ende des Studiums auch als Mitbewohner.
Ich erzähle das auch deshalb, weil es kennzeichnend für dich war, Initiative zu ergreifen und anzupacken, wenn dir eine Idee als gut erschien. Gleichzeitig auf eine zurückhaltende und bescheidene Art. Was manchmal vielleicht dazu führte, dass deine Initiative und dein „sich kümmern“ gar nicht so wahrgenommen wurden. Im Weihenstephaner Steig warst du jedenfalls für mich so was wie der „Herbergsvater“:Du hattest die Vorräte, an Essen, Holz, Heizöl im Blick. Du hast gesät, gepflanzt und wesentlich dazu beigetragen, dass die alte Bruchbude gleichzeitig auch liebenswert und wohnlich war. Und warst ein Schwabe wie ich: Sammler und Jäger von allem, das „man vielleicht irgendwann noch brauchen könnte“.
Auch dein beruflicher Weg führte in die Biobranche, was mich sehr freute. Deiner in die Vermarktung. Ich war fast ein bisschen verwundert darüber. Hatte ich dich doch als handfesten Praktiker kennen gelernt. Von dem ich „Landwirt“ mir abschauen konnte, das die Gemüseaussaat gelingt, wenn man Erde über die feinen Samen siebt. Später habe ich aber gelernt, dass es genau solche Menschen wie dich für den wachsenden Biomarkt braucht: Menschen die hinter den Bauern stehen und deren Sprache sprechen. Die aber auch Standing haben und verbindlich gegenüber den Handelspartnern auftreten. Menschen, die pragmatisch sind, sich etwas trauen und dann auch schnelle Entscheidungen treffen. Dieses schnelllebige und mit Risiken verbundene Geschäft war aber sicher auch belastend, für dich selbst, für Gaby und die Familie.
Dass du mich als Trauzeugen anfragtest, nachdem Gaby und du euch füreinander entschieden hattet, war für mich ein großer, aber auch überraschender Vertrauensbeweis. Wir hatten einander zwar immer sehr geschätzt und uns ausgetauscht. Aber so viel Zeit hatten wir miteinander gar nicht verbracht. Ich habe sehr gerne ja gesagt.
Die miteinander verbrachte Zeit blieb dann auch immer ein knappes Gut. Trotzdem haben wir es geschafft, die Verbindung zu halten und nach meinem Empfinden in den letzten fünf Jahren zu intensivieren. Wir haben häufiger miteinander telefoniert. Auch zu der ein oder anderen beruflichen Frage. Aber vor allem auch zu dem, was dich, Günter, als Mensch, Partner, Vater beschäftigt. Dabei sind für mich zwei neue Seiten von dir sichtbar geworden. Einerseits, wie intensiv du dich und dein Leben reflektierst. Andererseits, wie offen du darüber sprechen konntest, auch wenn wir im Gewühle der BIOFACH nur eine halbe Stunde oder Stunde miteinander bei einem Bier oder beim Mittagessen verbracht haben. Umso mehr tut es mir weh, dass es diesen Austausch nicht mehr gibt und dass unsere letzten persönlichen Treffen lange zurückliegen.
Mich hat dein Brief Anfang November letzten Jahres kalt erwischt. Aber ich war dann auch sehr froh, am Telefon oder auf den anderen Wegen die Bewusstheit, aber auch die Kraft und Zuversicht zu spüren, mit der du der Krankheit begegnet bist. Ich bin dir sehr dankbar, dass du mich und andere auch bei diesem letzten Stück weg hast teilhaben lassen. Und ich bin Gaby, euren Kindern, aber auch eurer Mitbewohnerin Sylvia sehr dankbar, dass sie diesen Wegabschnitt so für dich gestaltet und geebnet haben.
Danke für alles Günter, wir begegnen uns wieder. Im dem feinen Boden, der die Gemüsesamen bedeckt, in den Wurzeln und Früchten auf dem Acker, in den Lebewesen, in der Luft …
Dein Thomas

P.S Und noch was ganz praktisches Günter, das ich bei meinem anderen Post vergessen habe: Wenn du, wo du jetzt bist, Gaby, eines eurer Kinder oder sonstjemand aus eurem Kreis mal irgendwas braucht, bei dem ich oder wir behilflich sein könnten (Übernachtung in Augsburg, Rezept für Linsen und Spätzle, Kontakte in der Biobranche, …), dann schick sie zu uns. Die Türen stehen offen!